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Deutschland im Frühsommer 2025. Die Wahlen liegen hinter uns. Die neue Regierung steht in den Startlöchern. Die Menschen im Land sind gespannt: Kommen wir aus der Stagnation? Gelingt es uns, das gewohnte deutsche Wirtschaftswachstum wieder anzufachen? Kanzler Merz fordert, dass die Deutschen dafür nicht nur mehr, sondern auch effizienter arbeiten müssen. Aber was bedeutet das konkret für unsere Arbeitswelt, für unsere Berufsbilder, für unsere Zukunft?

Mehr, weniger, effizienter, flexibler?

Die Welt rüttelt sich gerade neu zurecht und wird morgen ganz anders aussehen, als wir das lange Zeit gewohnt waren. Wir werden uns anders fortbewegen. Wir werden uns anders ernähren. Wir werden anders wohnen, anders kommunizieren und wir werden natürlich auch anders arbeiten. Wir sind schon mittendrin in diesem Wandel.

Arbeit neu bewertet und gestückelt

Verschiedene Definitionen von Arbeit deuten darauf hin, dass es sich bei Arbeit um eine geplante, zielgerichtete körperliche oder geistige Tätigkeit handelt, die dazu dient, Einkommen für den Lebensunterhalt zu erzielen.

Arbeitnehmer bieten Arbeit an. Arbeitgeber kaufen sie ein. Arbeit ist ein Gut, das auf dem Arbeitsmarkt gehandelt wird. Dieser Markt durchlebt momentan erhebliche Veränderungen. Die Zukunft der Arbeit? Dürfte so aussehen:

  1. Angebot und Nachfrage atomisieren und individualisieren sich. Das erleben wir beispielsweise schon bei Medien oder Konsumartikeln.
    • Wir kaufen keine ganzen Zeitungen mehr, sondern nur noch bestimmte Artikel, in digitaler Form, wann und wo wir wollen.
    • Wir bestellen vom Smartphone aus, was uns gefällt, und sind nicht mehr angewiesen auf Kataloge oder Geschäfte.

Das bedeutet für den Arbeitsmarkt: Die klassische Stückelung nach Arbeitstagen wird zum Auslaufmodell. Für die Bereitstellung von Arbeitsleistung in Form von Anwesenheit werden immer weniger Unternehmen bezahlen. Sie erwarten vielmehr, dass Aufgaben in einer bestimmten Zeit mit einer messbaren Mindestqualität erledigt werden. Gleiches gilt auf Arbeitnehmerseite: Immer weniger, allen voran die qualifizierten Arbeitnehmer werden Anwesenheit zwischen 9 und 17 Uhr anbieten wollen. Sie wollen flexibel arbeiten und bezahlt werden für das, was sie erledigen.

Die Folge ist: Wir werden Arbeit immer mehr nach Zielen, Leistungen und Effizienz bewerten und bezahlen müssen und nicht mehr nach Anwesenheit oder Arbeitstagen.

  1. Die Welt ist der Markt – und nicht das Dorf, die Stadt, der Landkreis. Wir bestellen Waren aus allen Ländern der Welt via Internet. Warum sollte Arbeit da eine Ausnahme sein? Viele Arbeitsleistungen kaufen wir heute schon weltweit ein: Forschung, Entwicklung, Beratung, Datenanalyse etc. Im demographischen Wandel mit schrumpfendem Arbeitsangebot kann es eine gute Lösung sein, Arbeitsleistung in anderen Ländern einzukaufen. Dies bietet sich an für Arbeiten, die nur geringer Qualifikation und keiner persönlichen Nähe bedürfen, oder auch für vorwiegend digitale Aufgaben.
  2. Alles, was digitalisierbar ist, wird digitalisiert. Wir Deutschen haben uns mit einem defensiven, skeptischen Umgang in Sachen Digitalisierung ins Hintertreffen manövriert. Der Digitalisierung ist das egal. Sie schreitet trotzdem voran. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die sich dem digitalen Wandel verweigern, werden den Anschluss verlieren. Das gilt nicht nur für Bürojobs. Das gilt auch für Industrie, Produktion, Landwirtschaft, Pflege, Gastronomie – alle Branchen haben Potential dank Digitalisierung effizienter und zukunftsfähig zu werden.

Wir haben nicht mehr die Wahl, ob wir diese Herausforderungen annehmen. Wir können nur noch entscheiden, wie wir ans Ziel kommen wollen: ausgemergelt und abgeschlagen oder in Top-Form im Spitzenfeld.

Best Ager sind keine Fast Mover

2024 waren rund 50,4% der deutschen Bevölkerung 50 Jahre und älter (Statistisches Bundesamt). Ich bin mit 59 einer davon. In dieser alternden Gesellschaft mit hohem Durchschnittsalter ist der Veränderungswille strukturell schwächer ausgeprägt – auch, weil viele Menschen in der zweiten Lebenshälfte sicherheitsorientiert agieren. Sie wollen den Status Quo im Kern halten mit leichten Optimierungen, wenn diese Sinn machen und Nutzen stiften – für sie. Man kann sich leicht vorstellen, dass unsere Gesellschaft nicht viel Dynamik entfalten kann, wenn die Hälfte auf der Bremse steht.

Dazu kommt, dass diese starke Mehrheit 50plus von Politik und Medien laufend hofiert wird. Bloß nichts gegen die Alten sagen! Immer schön nett sein und Rentenerhöhungen versprechen! Statt diesem Einlullen bräuchten wir einen Weckruf. Einen erneuten, ordentlichen Ruck, der durchs Land gehen sollte.

Digitale Defizite

Wir müssen die Jungen fördern. Sie sollen den Ton angeben und das Tempo machen. Die letzten 15 Jahre zeigen ein paar Gemeinsamkeiten mit der jüngsten Fußballgeschichte: 2014 war Deutschland noch Weltmeister. Danach haben wir zu lange an alten Spielern und Methoden festhalten und wurden in den folgenden Weltmeisterschaften 2018 und 2022 sauber durchgereicht. Erst der neue Bundestrainer Nagelsmann scheint in der Lage, das Ruder rumreißen zu können. In der Gesellschaft und Arbeitswelt passierte im Grunde das gleiche – nur in größerem Stil. Ob Kanzler Merz Nagelsmann-Qualitäten hat, bleibt noch zu beweisen.

Wenn wir die Alten immer im Glauben lassen, sie wären weiterhin das wichtigste Rad am Wagen, unterfordern wir deren Bereitschaft zur realistischen Selbsteinschätzung und der anschließenden notwendigen Verbesserung ihrer Kompetenzen. Die Realität schaut nämlich so aus: Laut D21 Index zeigen nur etwa 20% der Menschen 50+ eine digitale Souveränität, die über Alltagsnutzung hinausgeht. In der Form, dass sie digitale Anwendungen produktiv nutzen würden. Dass sie Kompetenz hätten, damit Aufgaben und Probleme zu lösen. Dass sie Datenschutz so gut kennen würden wie die Verkehrsregeln – und nicht jedes Mal vor Angst zittern, wenn Sie auf dem Daten-Highway unterwegs sind.

Der aktuelle digitale Fitness-Zustand ist nicht ausreichend, um in den neuen Arbeitsmärkten als Arbeitnehmer attraktiv zu sein. Meist reicht das nicht einmal, um privat in einer zunehmend digitalen Welt zurecht zu kommen. Gleichzeitig gehen empörte Aufschreie durch die sozialen Medien, wenn jemand trotz 50 Bewerbungen keinen Job bekommt. Mit 55 habe man keine Chance mehr im Arbeitsmarkt? Mit 55 schon, aber halt nicht mit 55 ohne wettbewerbsfähige digitale Kenntnisse.

Maschinen helfen Menschen

Alle automatisierbaren und digitalisierbaren Arbeiten werden – getrieben bzw. erzwungen durch den weltweiten Wettbewerbsdruck und den voranschreitenden Einzug der KI – von Maschinen übernommen. Menschliche Arbeitskraft wird sich zusehends verlagern zu Arbeiten mit höherer Qualifikation. Dies gilt verstärkt in Ländern, wo der demographische Wandel zu schrumpfendem Arbeitsangebot führt. Also auch in Deutschland und Europa. Das Bild zu diesem Beitrag zeigt eine 24/7 Metzgerei-Laden im niederbayerischen Plattling. Der läuft rund um die Uhr auch ohne Metzgereifachverkäufer.

Qualifizierte Arbeitnehmer werden sich aussuchen können, wo sie für wen arbeiten wollen. Ihre gute Ausbildung gepaart mit Flexibilität und Mobilität machen sie unabhängig.

Viele Berufe könnten eine erhebliche Entlastung von nervigem, zeitraubendem Verwaltungskram oder umständlichen Prozessen erfahren. Wieviel effizienter wäre die Arbeitswelt von Polizei oder Krankenhäusern, wenn sie den hohen Anteil der Verwaltungsarbeit über digitale Tools und KI erledigen lassen könnten? Wieviel mehr Zeit hätten sie dann für ihre eigentlichen Aufgaben: die Pflege von Sicherheit und Gesundheit?

Auch im Frühsommer 2025 zaudern viele der (oft älteren) Entscheider in Unternehmen weiterhin, wenn es um die Digitalisierung von Prozessen und die Nutzung von KI geht. Ihre Unwissenheit und Ignoranz tarnen sie mit Bedenken hinsichtlich Datenschutz oder der immer wieder genommenen Ausrede: „Wir würden ja gerne, aber wir haben keine Zeit.“

Oft ist es auch einfach die Angst vor Kontroll- oder Machtverlust oder fehlendes Vertrauen in die Mitarbeiter. Wer vor Ort im Büro sitzt, den kann man besser beaufsichtigen? Ein Trugschluss! Lesen Sie dazu meine Überlegungen aus den Covid-bedingten Anfängen des Themas Home-Office.

Neue Stars am Arbeitsmarkt

Was in 100 Jahren sein wird, kann ich nicht absehen. Absehbar aber ist die Zukunft der Arbeit für die nächsten 10 bis 20 Jahre. Die Veränderungen sind ja schon in vollem Gange. Man muss sie nur zu Ende denken:

  • Jobs, die leichter durch Digitalisierung, KI und Automatisierung ersetzt werden können, werden tendenziell niedriger bewertet oder ganz von Maschinen übernommen: etwa Jobs in Verwaltung, Marketing, Werbung, Banking etc.. Berufe mit hohem KI-Anteil werden vielleicht nicht verschwinden: Aber sie wandeln sich in Richtung Steuerung, Kontextualisierung und ethischer Verantwortung.
  • Jobs, die mehr vom persönlichen Einsatz qualifizierter Arbeitskräfte leben, werden eine höhere Bewertung erfahren: Gesundheits- und Pflegedienstleister, Handwerker, Gastronomen, Psychologen, Landwirte und natürlich Unternehmer, die Ideen auf den Weg bringen.

Daher halte ich es für sehr naheliegend, dass das alte Standesdenken revolutioniert wird  – dass Berufe hinsichtlich Ansehen und Bezahlung nach oben schießen, die in der Vergangenheit eher als graues Mittelmaß galten. Und umgekehrt.